Heute ist der 07.10.2016, ein Freitag.
Du bist leider immer noch am Schlafen. Mama hat heute schon ganz früh auf der Intensivstation angerufen, um nach dir zu fragen: Du bist stabil und hast die Nacht ruhig verbracht – ein schöner Moment für uns alle und wir konnten durchatmen. Mama ist dann direkt nach dem Anruf zu dir gefahren. Leider haben ihr die Ärzte gesagt, dass du heute noch nicht wieder aufwachen darfst. Du musst noch ein wenig schlafen, um dich weiter ausruhen zu können, bis die Medikamente vollständig wirken. Das war für uns wieder ein sehr trauriger Moment. Wir möchten so gerne mit dir sprechen und dir sagen, wie toll du das alles machst und wie sehr wir dich lieben. Papa ist auch heute Morgen zu dir gefahren. Gegen 11.00 Uhr hat er uns geschrieben, dass er auf dem Weg nach Münster ist. Papa ist dann allerdings ein bisschen eher zurück nach Hause gefahren, weil er ja noch mit Pelle (das ist unser Hund) und Rico (das ist der Hund unserer Tante) spazieren musste. Mathis ist tapfer zur Arbeit gefahren, in der Hoffnung, dass er davon etwas abgelenkt wird. Ihm fällt es natürlich total schwer, arbeiten zu gehen. Viel lieber wäre er auch zu dir gefahren. Wie wir alle muss auch er die ganze Zeit an dich denken… Ich bin heute Morgen schon eine Runde laufen gewesen – 40 Minuten am Stück bin ich gejoggt (für mich Sportmuffel eine lange Zeit, wie du weißt). Ich habe versucht den Kopf frei zu bekommen, den Gedanken zu entfliehen – leider eher erfolglos. Jonas hat glücklicherweise von Zuhause aus arbeiten dürfen, sodass ich nicht ganz alleine war. Ich habe dann mit Mathis abgemacht, dass wir morgen zu dir fahren! Wir hoffen alle, dass du morgen endlich wieder wach sein darfst. Aber wir sind uns unsicher, ob du uns dann alle bei dir haben möchtest. Du bist bestimmt furchtbar durcheinander und weißt gar nicht so richtig, was passiert ist. Ich denke, wir werden warten, bis Mama uns sagt, dass es in Ordnung ist, wenn wir auch kommen – es dürfen schließlich auch immer nur zwei Personen gleichzeitig in deinem Zimmer sein. Heute Nachmittag war ich dann noch einkaufen. Ich habe deinen Lieblingstee, Khakis und einen Labello für dich gekauft – für den Fall, dass du morgen wieder wach sein darfst. Ich glaube nämlich, dass deine Lippen ziemlich spröde sein werden, wenn du die ganze Zeit den Beatmungsschlauch in deinem Mund hast. Ein lieber Pfleger, wie Papa ihn beschrieben hat, hat vorgeschlagen, dir ein wenig Musik vorzuspielen. Yale, Jonas, Mathis und ich haben dann ein paar aktuelle Lieder auf meinen Ipod geladen. Natürlich dürfen Bibi und Tina nicht fehlen – wir haben dir sogar ein ganzes Hörbuch draufgeladen. Gerade eben habe ich noch kurz mit Mama telefoniert: Die Ärzte werden vor Montag keinen Versuch starten, dich zu extubieren. Deshalb komme ich morgen zu dir. Ich möchte dich sehen, doch habe gleichzeitig so eine Angst vor den ganzen Geräten, Schläuchen, Geräuschen… Aber ich möchte dir sagen, wie lieb ich dich habe. Und dass du schnell wieder aufwachen sollst. Zusammen mit Papa, Mathis und Yale werden wir morgen nach Münster fahren. Aber vorher werden Mathis und ich noch etwas für dich kaufen. Mama und Papa haben auch noch mit Yales Eltern telefoniert. Eigentlich sind sie im Urlaub, fahren aber gleich wieder zurück, um bei Yale sein zu können. Ich weiß, dass er auch so gerne zu dir möchte. Er hat dir auch etwas gekauft – ich glaube ein Buch, aus dem er dir morgen vorlesen möchte. Ich frage mich, wie es sich für dich anfühlt. Bekommst du etwas mit? Merkst du es, wenn wir an deinem Bett sitzen? Hast du Schmerzen? Spürst du überhaupt irgendetwas? Auf einmal stecken wir in dieser Situation. Eine Situation, die für uns alle immer so fern und unbekannt war. Wir versuchen uns immer gegenseitig gut zuzureden, aber wir haben alle eine fürchterliche Angst um dich! Ich werde jetzt ins Bett gehen und erneut für dich beten. Bis morgen!
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Hallo zusammen! Mein Name ist Franzi, ich bin 24 Jahre alt und die große Schwester von Elisa. Gemeinsam mit meinem Freund Jonas und unseren zwei Katzen wohne ich in einer wunderschönen Wohnung in unserer Heimatstadt. Um das Glück perfekt zu machen, erwarten wir im Januar 2018 unser erstes Kind. So glücklich wie ich momentan bin, war ich nicht immer. Elisas Diagnose hat mein Leben komplett auf den Kopf gestellt, noch nie habe ich mich so hilflos gefühlt. In dieser Zeit, insbesondere in der Anfangszeit, in der Elisa selber nichts mitbekommen hat, hat es hat mir geholfen, eine Art Tagebuch für sie zu schreiben. Warum ich davon schreibe, dass sie zu Anfang nichts mitbekommen hat, erfahrt ihr in meinem ersten Eintrag für sie. Donnerstag, 06.10.2016 Heute ist der 06.10.2016, ein Donnerstag. Nicht irgendein Donnerstag, sondern der Donnerstag, an dem die Ärzte sich dazu entschieden haben, dich nach der Operation weiter schlafen zu lassen. Als ich heute Morgen aufgewacht bin, warst du mein erster Gedanke. Sofort sind mir die Tränen in die Augen geschossen und ich musste weinen. Dann habe ich versucht, mich abzulenken: Wie eine Irre habe ich Wäsche gewaschen, die Küche geputzt und das Bad geschrubbt. Dann kam endlich Birte, die Schwester meines Freundes. Heute durfte ich nämlich auf Lotte, mein Patenkind, aufpassen. Die zwei Stunden zwischen dem Aufwachen und dem Ankommen von Birte kamen mir wie eine Ewigkeit vor. Dann habe ich Birte alles erzählt – von A bis Z – musste wieder weinen und habe erneut versucht, mich zu fangen. Gerade als ich dann mit Lotte loswollte und Birte gefahren ist, hast du geschrieben, dass du doch schon heute Morgen und nicht erst heute Nachmittag operiert wirst. Keiner von uns war in diesem Augenblick bei dir, ich habe mich schrecklich gefühlt. Ich bin dann mit Lotte zu meiner besten Freundin gelaufen. Natürlich hat sie sofort gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Also habe ich wieder alles erzählt. Dieses Mal musste ich nicht weinen. Es ging einfach nicht. Ich habe mich gefühlt wie ein Eisklotz, da ich doch sonst bei jeder Kleinigkeit anfange zu weinen. Elena musste dann wieder arbeiten, also bin ich zu Mama gelaufen. Oma kam dann auch zu Mama und wollte wissen, wie es dir geht. Du musst wissen, dass wir niemanden beunruhigen wollten. Niemandem wollten wir erzählen, dass du möglicherweise diese Krankheit hast – nicht einmal vor uns wollten wir es aussprechen. Doch Oma kennt Mama, ihre Tochter, natürlich sehr gut und Mama konnte ihre Tränen nicht mehr unterdrücken. Sie hat Oma erzählt, dass du heute operiert wirst und dir ein Lymphknoten entnommen wird, der dann untersucht werden soll. Das böse Wort ist aber nicht einmal gefallen. Oma ist dann wieder gegangen und Mama ist zu dir nach Münster gefahren. Ich bin dann weiter zu unseren anderen Großeltern, um mich abzulenken. Oma und Opa wollten natürlich auch wissen, wie es dir geht und ob es etwas Neues gibt. Ja, das gibt es – meine kleine Schwester hat wahrscheinlich Krebs, habe ich gedacht. „Nein, man weiß nichts Genaues.“, antwortete ich. Ich habe mich schlecht dabei gefühlt, aber ich wollte Oma und Opa einfach nicht beunruhigen, bevor wir keine endgültigen Ergebnisse haben. Als ich dann wieder Zuhause war, öffnete ich WhatsApp. Drei Stunden waren mittlerweile seit deiner letzten Nachricht vergangen, was mich sehr verunsichert hat, denn eine Operation bei Bewusstsein, ohne Narkose, kann doch nicht so lange dauern? Wenige Minuten später schrieb Mama uns, dass du im Aufwachraum bist. Im Aufwachraum? Du bist doch wach? – Nein, du wurdest für die Operation doch in Vollnarkose gelegt. Mehr wusste Mama in diesem Moment auch nicht. Dann die nächste Nachricht von Mama – du liegst auf der Intensivstation. Die Ärzte konnten dich nicht exthubieren, weil dein Körper so angeschwollen war. Hätten sie das Beatmungsgerät herausgezogen, wärst du mit hoher Wahrscheinlichkeit erstickt. Also haben sich die Ärzte dazu entschieden, dich schlafen zu legen, damit du dich erholen kannst. Du bekommst Medikamente, die dafür sorgen sollen, dass alles wieder abschwillt und du wieder alleine atmen kannst. Ich habe dann wieder versucht, mich abzulenken – wollte dir in der Stadt eine Kleinigkeit kaufen. Aber irgendwann musste ich schließlich wieder nach Hause. Jetzt sitze ich hier im Wohnzimmer auf dem Sofa, wo auch du vor ein paar Tagen noch saßt – noch völlig ahnungslos von dem, was in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten auf uns, und vor allem auf dich, zukommen wird. Jonas schreibt seinem Chef, dass er morgen von Zuhause aus arbeiten möchte, um bei mir sein zu können, denn meine kleine Schwester liegt im Koma. Ein Wort, das wir beide doch sonst nur aus Greys Anatomy kennen. Und jetzt sollst DU im Koma liegen? Mama ist mittlerweile wieder Zuhause, morgen früh fährt sie wieder zu dir, um da zu sein, wenn die Ärzte dich aufwecken. Ich weiß noch nicht, ob ich mitkommen soll. Ich glaube, ich möchte nicht sehen, wie du schläfst. Aber am Samstag werde ich dann bei dir sein, um dich in die Arme zu schließen. Zuletzt online um 10.07 Uhr steht noch immer auf meinem Handydisplay, wenn ich unseren Chat öffne. Ein merkwürdiges Gefühl. Ich werde jetzt ins Bett gehen und wieder für dich beten. Bitte wach ganz schnell wieder auf, mein kleiner Schatz! |
EnjoyMit Liebe, teilweise auch Tränen & viel Mühe sind all meine Texte verfasst worden ! Archiv
Dezember 2018
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